|
Das Hören einer göttlichen Stimme. Zur Offenbarung und zu Heiligen Schriften im frühen Rom
Franz K. Mayr faßt in seiner Abhandlung über das Hören in Antike und Christentum die Zeugnisse des griechischen und römischen Altertums in einem einzigen Abschnitt zusammen und glaubt, daß die Symbole des Sehens bei den Römern, wenn auch mit Einschränkungen, so doch ebenso wie bei den Griechen vorgeherrscht haben 1 . Demgegenüber sollen die folgenden Ausführungen zeigen, daß die Römer eine Entwicklung von einer ursprünglichen Hörkultur zu einer späteren Sehkultur unter griechischem Einfluß durchlaufen haben. Im Mittelpunkt der Betrachtung steht die erschließbare Erfahrung eines göttlichen Sprechens, dem ein aufnehmendes Hören und Bewahren des Menschen antworten. Da die frühen Römer die Schrift kannten, haben sie die vernommenen Gottesworte nicht selten auch aufgezeichnet. Damit stellt sich die Frage nach der Bedeutung Heiliger Schriften im frühen Rom. J. W. Goethe schreibt am 19. März 1827 folgende Zeilen an den Komponisten C. F. Zelter (1758-1832): «Mir erscheint der zunächst mich berührende Personenkreis wie ein Konvolut sibyllinischer Blätter, deren eins nach dem anderen, von Lebensflammen aufgezehrt, in der Luft zerstiebt und dabei den überbleibenden von Augenblick zu Augenblick höheren Wert verleiht. Wirken wir fort,
1 «Hören»: RAC 15 (1991) 1023-1111, bes. 1025. Wichtiges zum Thema bieten K. Latte, «Über eine Eigentümlichkeit der italischen Gottesvorstellung», Arch. ReI. Wiss. 24 (1926) 244-258; W. Pötscher, Das römische Fatum. Begriffund Verwendung: Aufstieg u. Niedergang d. röm. Welt 2, 16, 1, BerliiVNew York 1978, 393-424. Zur Bedeutung des Klanges und damit des Hörens für die Bestimmung der Wirklichkeit vgl. die Werke von H. Kayser und seines Fortsetzers R. Haase, Wien.
|